III. Behandlungsfehler
B.
Intraoperative Gewebeentnahme / Mammaamputation / Fehlende Einwilligung
1. Der Arzt hat
vor der Durchführung eines für den Patienten schwerwiegenden Eingriffs wie etwa
einer Mammaamputation, dessen Notwendigkeit durch Nutzung aller Erkenntnisquellen
sicherzustellen, deren Anwendung nach dem Stande der ärztlichen Wissenschaft
und nach den zur Verfügung stehenden Mitteln möglich ist und ohne neue ernstliche
Gefährdung des Patienten durch Zeitverlust oder durch die Art der Untersuchung
selbst stattfinden kann.
2. Grundsätzlich ist ein Eingriff nur dann erlaubt, wenn der Arzt die Einwilligung des Patienten
einholt. Einer solchen Einwilligung bedarf es auch, wenn der Arzt dabei offenbaren
muss, dass er die Erkrankung für Krebs hält und den Patienten dadurch psychisch
belastet.
RG III. Zivilsenat
Urt. vom 08. März 1940 -III 117/39- (Landgericht Leipzig; Oberlandesgericht
Dresden)
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Infektion /
Desinfektion / Ellenbogengelenksversteifung
Führt der Arzt
eine Injektion beim Patienten durch, ohne sich zuvor ausreichend die Hände zu
desinfizieren, so stellt dies einen groben Mangel in Bezug auf die ärztliche
Behandlung dar.
OLG Düsseldorf
8. Zivilsenat Urt. vom 04. Juni 1987 -8 U 113/85-
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Behandlungsfehler
/ Radiologe / Röntgenkontrastuntersuchung / Balkonkatheter / Dickdarm / Kontrastmittel
Es stellt einen
Behandlungsfehler dar, wenn ein Radiologe bei der Röntgenkontrastuntersuchung
das Darmrohr des verwendeten Ballonkatheters ohne Beaufsichtigung von einer
Arzthelferin einführen lässt und anschließend eine beträchtliche Menge des Kontrastmittels
zuführt, ohne den Austritt einer größeren Menge in die Umgebung des Dickdarms
zu bemerken.
OLG Köln 27. Senat
Urt. vom 29.11.1989 -27 U 111/89- Bemerkung: der BGH hat die Revision des Beklagten durch Beschlus vom 23.10.1990
-VI ZR 9/90- nicht angenommen.
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Geschwulst /
Differentialdiagnostische Maßnahmen / Unterlassen / Grober Behandlungsfehler
Kausalität/Heilungschancen
1. Ein alarmierender
Befund (hier: Geschwulst in der Halsregion) verpflichtet den Arzt zu differentialdiagnostischen
Maßnahmen, deren Unterlassen einen groben Behandlungsfehler darstellen kann.
2. Ein grober Behandlungsfehler
bei der Diagnostik rechtfertigt eine Beweislastumkehr beim Nachweis der Kausalität
des Behandlungsfehlers für den weiteren Verlauf der Krankheit, wenn sich gerade
das Risiko verwirklicht, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen
lässt; das gilt auch dann, wenn eine Heilungschance von nur 25 bis 35% bestanden
hat.
OLG Stuttgart
Urt. vom 21. Juni 1990 -14 U 3/90-
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Fruchtwasseruntersuchung
/ Mongoloides Kind / Behandlungsfehler
Kommt es infolge
eines ärztlichen Behandlungsfehlers (unterlassene Fruchtwasseruntersuchung,
die im konkreten Fall geboten war) zur Geburt eines mongoloiden Kindes, so ist
die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes für die Mutter wegen der seelischen Belastung
durch das schwergeschädigte Kind nur gerechtfertigt, wenn diese Belastung Krankheitswert
hat.
Im übrigen bleibt
es bei dem Grundsatz, dass weder die Belastungen durch eine natürliche, komplikationslose
Geburt noch die Angst vor der Geburt eines behinderten Kindes ein Schmerzensgeld
rechtfertigen.
OLG Hamm, Urteil
vom 22. April 1991 -3 U 129/85- Bemerkung: Der BGH hat die Revision der Kläger
mit Beschluss vom 11.02.1992 -VI ZR 209/91- nicht angenommen.
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Geburtsvorgang
/ Hebamme / CTG / Überwachungspflichten
Es gehört zu den
Aufgaben einer Hebamme, ein CTG aufzuzeichnen und auch ein pathologisches CTG
zu erkennen. Die Entscheidung darüber, was bei einem solchen CTG zu veranlassen
ist, insbesondere die weitere Überwachung des Geburtsfortschritts obliegt hingegen
dem Arzt.
OLG Oldenburg,
Urteil vom 16. Januar 1996 -5 U 17/95- Bemerkung: Der BGH hat die Revision des Beklagten durch Beschluss vom 12.11.1996
-VI ZR 60/96- nicht angenommen.
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Aufklärungspflicht
/ Behandlungsfehler / Anfängeroperation / Übernahmeverschulden / Schädigung des nervus accessorius nach Exstirpation eines
Lymphknotens am Hals
1. Die Übertragung
einer selbständig durchzuführenden Operation auf einen dafür noch nicht ausreichend
qualifizierten Assistenzarzt ist ein Behandlungsfehler. Unter dem rechtlichen
Gesichtspunkt einer Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht werden Ersatzansprüche
dadurch grundsätzlich nicht begründet.
2. Ist die Gesundheit
des Patienten bei der Operation durch einen nicht ausreichend qualifizierten
Assistenzarzt geschädigt worden, so trifft die Beweislast dafür, dass dies nicht
auf der mangelnden Qualifikation beruht, den Krankenhausträger und die für die
Einteilung zur Operation verantwortlichen Ärzte.
3. Maßstab für
die an einen in der Ausbildung befindlichen Assistenzarzt zu stellenden Sorgfaltsanforderungen
kann nicht der medizinische Wissensstand eines fertigen, in der Praxis geübten
Facharztes sein. Ihm kann nur dann ein Vorwurf daraus gemacht werden, dass er
sich weisungsgemäß auf die selbständige Operation eingelassen hat, wenn er nach
den bei ihm vorauszusetzenden Kenntnissen und Erfahrungen dagegen Bedenken hätte
haben und eine Gefährdung des Patienten hätte voraussehen müssen.
BGH, VI. Zivilsenat,
Urteil vom 27. September 1983 -VI ZR 230/81- (Landgericht Köln; Oberlandesgericht
Köln)
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Zur Frage eines
Übernahmeverschuldens, wenn die apparative Ausstattung des Krankenhauses für
eine kontrollierte Führung der Therapie (hier: Radiumeinlagen bei Gebärmutterhals-Karzinom)
nicht ausreicht.
a) Wenn in einem
Krankenhaus der zu fordernde medizinische Behandlungszustand nicht gewahrt ist,
muss in Fällen, in denen die apparative Ausstattung für die kontrollierte Führung
der Therapie von besonderem Gewicht ist, der Patient über den Umstand aufgeklärt
werden, dass eine insoweit nur dürftige Ausstattung vorhanden ist.
b) Es kann ein
grober Behandlungsfehler sein, wenn vorhandene medizinische Geräte (hier: Dosisleistungsmeßgerät
für Strahlentherapie) für die Therapie nicht eingesetzt werden.
BGH, VI. Zivilsenat,
Urteil vom 30. Mai 1989 -VI ZR 200/88- (Landgericht Darmstadt; Oberlandesgericht
Frankfurt am Main)
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Coxarthrose
/ Hüftoperation / Anfängeroperation / Aufsichtspflicht des Facharztes
a) Bei einer sog.
Anfängeroperation muss ständige Eingriffsbereitschaft und Eingriffsfähigkeit
des aufsichtsführenden Facharztes gewährleistet sein. Fehlende Einsehbarkeit
des Operationsfeldes (hier: bei Freilegung und Offenhalten durch Operationshaken)
entlastet ihn grundsätzlich nicht.
b) Der Entlastungsbeweis
gem. § 831 BGB ist mit dem bloßen Hinweis, der Berufsanfänger habe bereits 12
Hüftgelenksoperationen fehlerfrei durchgeführt, allein nicht zu führen.
OLG Oldenburg,
Urteil vom 29. Juli 1997 -5 U 46/97- (Landgericht Oldenburg)
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1. Organisationsmangel
Hinweis- und
Überwachungspflichten / Ungenügend ausgebildetes Pflegepersonal / drohende Komplikationen
/ Normalstation / Organisationsverschulden / Hydrocephalus / Ansteigen des Gehirndruckes
Ist bei einem
auf der Normalstation belassenen Patienten in der Nacht mit erheblichen Komplikationen
zu rechnen, so muss das Nachtpersonal durch die Ärzte besonders sorgfältig und
eingehend über die Gefahren, die dem Patienten drohen, hingewiesen werden.
OLG Celle, 1.
Zivilsenat, Urteil vom 25. Juni 1984 -1 U 44/83-
Krankenhaus
/ Organisationsverschulden / Medikamentevorhaltung / Risikoaufklärung / Beweiswürdigung
a) Es kann ein
Organisationsverschulden des Krankenhausträgers darin liegen, dass ein Medikament
mit erheblich niedrigeren Risiken für den Patienten (hier: PPSB-sicher) nicht
rechtzeitig vor der Operation zur Verfügung steht.
b) Behauptet die
Arztseite. der Patient hätte bei vollständiger und richtiger Aufklärung über
deren Risiken in die vorgeschlagene Behandlung eingewilligt, so hat der Patient
plausibel darzulegen, dass er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, nicht
aber auch, wie er sich tatsächlich entschieden hätte.
BGH, VI. Zivilsenat,
Urteil vom 11. Dezember 1990 -VI ZR 151/90- (Oberlandesgericht Koblenz; Landgericht
Bad Kreuznach)
Spermakonserve
/ Aufbewahrungskriterien / Vernichtung / Selbstbestimmungsrecht
Wird Sperma, das
der Spender hat einfrieren lassen, um sich für eine vorhersehbare Unfruchtbarkeit
die Möglichkeit zu erhalten, eigene Nachkommen zu haben, durch das Verschulden
eines anderen vernichtet, dann steht dem Spender unter dem Gesichtspunkt der
Körperverletzung ein Anspruch auf Schmerzensgeld zu.
BGH, 6. Senat,
Urteil vom 09. November 1993 -VI ZR 62/93- (Oberlandesgericht Frankfurt; Landgericht
Marburg)
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2. Dokumentationspflicht
Risikopatient
/ Decubitus-Prophylaxe und -Behandlung / Polsterungen / Umbettungen / Bäder
/ Krankengymnastische Übungen / Wasserbett
Bei einem Risikopatienten
sind in den Krankenunterlagen die ärztliche Diagnose sowie die ärztlichen Anordnungen
hinsichtlich der Wahl der erforderlichen Pflegemaßnahmen festzuhalten. Entspricht
die Dokumentation diesen Grundsätzen nicht, so kann dem geschädigten Patienten
billigerweise nicht die volle Beweislast für die behaupteten Behandlungsfehler
obliegen.
BGH, VI. Zivilsenat,
Urteil vom 02. Juni 1987 -VI ZR 174/86- (Landgericht Bremen; Oberlandesgericht
Bremen)
Dokumentationspflicht
/ Befundsicherung / Behandlungsfehler / Beweiserleichterung
Dokumentationsversäumnisse
eines Arztes vermögen nur ausnahmsweise hinsichtlich der haftungsbegründeten
Kausalität zugunsten des Patienten Beweiserleichterungen zu rechtfertigen, wenn
sich der Behandlungsfehler, der mangels hinreichender Dokumentation anzunehmen
ist, als eine grobe ärztliche Regelwidrigkeit darstellt oder wenn eine medizinisch
zweifelsfrei gebotene Befundsicherung unterblieben ist.
Solche beweisrechtlichen
Auswirkungen haben Dokumentationsversäumnisse nicht, wenn zwar die Dokumentation
äußerst lückenhaft ist, diese Lücken aber aufgrund der Bekundungen von Zeugen
nachvollziehbar geschlossen werden können.
OLG Düsseldorf,
Urteil vom 19. Dezember 1991 -8 U 194/89- Bemerkung: Der BGH hat die Revision
der Kläger durch Beschluss vom 20.10.1992 -VI ZR 55/92- nicht angenommen.
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3. Aufklärungspflicht
Hinweispflicht
auf nachteilige Operationsfolgen / Beweislast / Lähmung der Gesichts- und Gehörnerven
als Folge operativer Entfernung von Knochenwucherungen im Gehörgang
1. Eine Verpflichtung
des Arztes, den Kranken auf alle nachteiligen Folgen aufmerksam zu machen, die
möglicherweise bei einer dem Kranken angeratenen Operation entstehen können,
kann nicht anerkannt werden, insbesondere dann, wenn es sich um fern liegende
Risiken handelt.
2. Die Beweislast
für die Feststellung der Ursache einer Verletzung des Kranken bei einer Operation
liegt beim Patienten.
RG, III. Zivilsenat,
Urteil vom 01. März 1912 -Rep. III. 231/11- (Landgericht II Berlin; Kammergericht
daselbst)
Penicillin-Injektion
/ Schädigung des nervus ischiadicus / Teillähmung des Beines / Einwilligung
der Mutter des geschädigten Kindes
Der Arzt ist nicht
verpflichtet, den Patienten über Risiken aufzuklären, die nur durch eine fehlerhafte
Behandlung entstehen können.
BGH VI. Zivilsenat.
Urt. v. 19. März 1985 - VI ZR 227/83 -
Kosmetische
Operation / Bauchdeckenstraffung / Außenseitermethode / Narbenbildung
Auf eine von ihm
angewandte Außenseitermethode muss der Arzt den Patienten hinweisen, wenn sie
unter Umständen mit größeren, jedenfalls aber mit erheblichen anderen Risiken
verbunden ist als die herkömmliche Verfahrensweise.
OLG Celle 1. Zivilsenat
Urt. v. 20. Mai 1985 - 1 U 33/84 -
Postoperative
Nekrosefistel / Totaloperation / Allgemeines Operationsrisiko / "Klebeversuch"
/ Psychische Belastung / Künstlicher Darmausgang
Ein Arzt braucht
nicht auf jede Möglichkeit von Komplikationsfällen hinzuweisen, insbesondere
nicht auf solche, die für die beabsichtigte Operation atypisch sind.
OLG Köln 7. Zivilsenat
Urt. v. 17. Dezember 1981 - 7 U 145/81 -
Chondropathia
patellae / Behandlungsalternativen / Operativer Eingriff / Konservative Behandlung
/ Wahlmöglichkeit
1. Die Wahl der
Behandlungsmethode ist primär Sache des Arztes.
2. Gibt es indessen
mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden
mit unterschiedlichen Risiken und Erfolgsaussichten, besteht also eine echte
Wahlmöglichkeit, so ist der Patient darüber aufzuklären und ihm die Entscheidung
zu überlassen.
BGH VI. Zivilsenat
Urt. v. 24. November 1987 - VI ZR 65/87 - (Landgericht München II; Oberlandesgericht
München)
Aufklärungsgespräch / Informationspflichten / Informationsumfang / Arthrose
Ein Patient, der
in leicht verständlicher Umgangssprache über die Komplikationsmöglichkeiten
eines Eingriffs aufgeklärt worden ist und zusätzliche Fragen zur Operation gestellt
hat, kann sich nicht darauf berufen, dass er wegen seines geringen Bildungsstandes
die mündlichen und schriftlichen Informationen über den Eingriff nicht habe
verstehen und würdigen können.
OLG Saarbrüchen
Urt. v. 24. März 1993 - 1 U 126/92 - Bemerkung: Der BGH hat die Revision der Kl. nicht angenommen (Beschl. v. 12.04.1994
- VI ZR 170/93 -
Kniegelenkspunktion
/ Infektionsrisiko / Aufklärungspflicht
1. Vor einer Punktion
des Kniegelenks muss über das damit verbundene Infektionsrisiko aufgeklärt werden.
2. Ergeben sich
nach einer Punktion des Kniegelenks Infektionsanzeichen, so muss zur weiteren
Abklärung neben einer Röntgendiagnostik eine Serologie und bakteriologische
Untersuchung des Punktats erfolgen.
OLG Hamm Urt. v.
20. Mai 1998 - 3 U 139/97 -
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